Die Krise und die Corona-Verschwörung

Nicht jede Antwort auf ein Rätsel ist richtig. Umso wichtiger sind Faktenchecks.

Kürzlich erzählte ein Osttiroler Arzt, dass sich viele Menschen gar nicht mehr in die Ordination getrauen. Einerseits weil es heißt, man solle möglichst nicht zum Arzt gehen, andererseits aus Angst vor Corona. So sei jemand mit einem Blinddarmdurchbruch daheim geblieben, um sich nicht mit Covid-19 anzustecken. Wenn er als Arzt nun auch noch eine Maske trage, so der Arzt weiter, sorge das zusätzlich für Ängstlichkeit bei seinen PatientInnen.

Angst, wohin wir auch blicken – und es ist kein Wunder. Diese Zeit ist neu, ist verwirrend und schwierig. Wenn es nur die Sorge vor der Ansteckung wäre, könnte man vielleicht damit umgehen, doch sie paart sich mit berechtigter Existenzangst und dem Zweifel, wie es weitergehen wird.

Cocooning und Videos, die die Welt erklären

In Zeiten großer Katastrophen igeln sich die Menschen ein. Nach dem 11. September 2001 sprach man vom Cocooning, dem Einnisten daheim. (Der Begriff geht auf die US-Trendforscherin Faith Popcorn zurück, die ihn 1981 erstmals verwendete.) Das erinnerte ein wenig an die Zeit des Barock, als die, die es sich leisten konnten, daheim saßen und üppige Muster und Dekorationen die Sorgen überdecken sollten. Was aber wenn das Daheim-Sitzen Teil der Katastrophe ist? Es gibt inzwischen etliche Initiativen, die Konzerte, Kabarett, Kunst und Unterhaltung digital ins Heim bringen. Das lenkt ab und hilft. Letztlich aber ist man doch auf sich selbst zurückgeworfen, ob im Homeoffice, mit Schulkindern, die betreut werden wollen, als PensionistIn oder weil man keine Arbeit hat oder sie derzeit nicht ausüben darf.

Dann macht das Handy „bling“ und schon ist sie da, die Ablenkung. Ein Video. Eines von vielen. Die sozialen Medien bespielen uns derzeit fast ununterbrochen. Hier eine Karikatur, die einem ein Lächeln abringt, da ein Experte, der die Welt erklärt, dort ein Video, das die große Weltverschwörung wittert, gleich gefolgt von zehn anderen Videos, die dasselbe tun, nur mit anderen Antworten. Und dazwischen der eine oder andere Arzt, der gar nicht groß auf wichtig tut, sondern nur erklärt, was geschieht. Letzterer geht in der Menge unter.

Panzer, Geldgier und andere Erklärungen

Erst diese Woche tat sich eine Meldung besonders hervor: Aufnahmen von US-Panzern in Deutschland schienen endlich offenzulegen, was „wirklich“ dahinter steckt, dass man uns in Quarantäne verfrachtet hat. Viele fühlten sich bestätigt. Doch nein, wieder nichts. Es handelte sich lediglich um eine seit Jahren geplante internationale Militärübung, die aufgrund der aktuellen Krise frühzeitig beendet wurde. Die US-Panzer fuhren bloß zurück zum Sammelpunkt, um abtransportiert zu werden. Also wieder nichts mit der großen Auflösung des Rätsels.

Diese wird es auch nicht geben. Schon gar nicht in geraumer Zeit. In vielen Jahren vielleicht. Um es jetzt zu durchschauen, fehlt die Information. Die Lücke liegt wie eine offene Wunde da und wartet geradezu darauf, von jemandem geschlossen zu werden. Ein Fest für all jene, die sich selbst inszenieren wollen. Sie schlagen Kapital aus unserer Verunsicherung, denn wenn wir uns etwas nicht erklären können, muss etwas Größeres dahinterstecken. Leider fehlen den meisten selbsterklärten Experten (ja, fast ausschließlich Männer, was uns viel darüber verrät, wem die Gesellschaft in der Krise glauben will) sowohl Fachwissen als auch Überblick, um die Lage real beurteilen zu können. Nur weil einer gut reden kann und in seinem Video auch gut aussieht, spricht er noch nicht die Wahrheit.

Die Verschleierung dessen, was wichtig sein könnte

Die Masche ist einfach. Sonore Stimme, leicht nach vorne gebeugter Oberkörper, um näher beim Zuschauer zu sein, legere Kleidung, denn das Publikum trägt wahrscheinlich nur einen Trainingsanzug; ernster Blick, am besten mit einer kleinen, senkrechten Falte über der Stirn; die Kamera so positioniert, als handle es sich um eine Webcam (oft ist es sogar eine solche). Dieses Understatement schafft Nähe. Im Hintergrund Musik, oder noch besser: keine Musik und das betont man als Sinnbild für die eigene Seriosität. Inserts sind hilfreich, ebenso ein Doktortitel oder der Gastauftritt eines Titelträgers. Dazwischen die Einspielung von Bildern und Videos, denn dann hat es das Publikum „mit eigenen Augen gesehen“.

Alles leicht durchschaubar. Es lenkt davon ab, dass Fakten vertauscht und durcheinandergewürfelt werden. Dem Faktencheck hält kaum eines dieser Videos statt. Übrigens sei allen Mimikama (LINK: https://www.mimikama.at/) ans Herz gelegt. Dort weiß man, was Recherche bedeutet, und man verwendet sie, um Nachrichten aller Art auf ihren Wahrheitsgehalt zu überprüfen. Den Verschwörungsfanatikern wird diese Seite natürlich nur ein weiterer Beweis dafür sein, dass irgendwo eine Gruppe sitzt, die die Weltherrschaft vorbereitet. Das ist schade, denn es gäbe derzeit viel in der Politik zu beobachten, was sich nachträglich als langfristig wesentlich einflussreicher herausstellen könnte.

Erstmals erschienen in: Dolomitenstadt