Friedrich Nietzsche und der Wille zur Macht

Machtanspruch allein ist zuwenig. Politiker vergessen oft, dass sie selbst auch Bürger sind.

 

Politische Ambitionen beruhen zuweilen auf Missverständnissen. So begriff Friedrich Nietzsche den mehrfach von ihm beschriebenen Begriff „Wille zur Macht“ als etwas ganz Anderes, als das, was viele PolitikerInnen in Anspruch nehmen. Nietzsche sah im Willen zur Macht vor allem ein Erkennen und Bejahen des ewigen Kreislaufs dieser Erde – des Lebens an sich; Entstehen versus Vergehen als Antrieb des Menschen.

Wie der Aufruf in der Bibel, sich die Erde untertan zu machen, keinen Freibrief zur Zerstörung der Natur bedeutet, sondern die Verantwortung spiegelt, die der Mensch gegenüber der Erde hat, fordert Nietzsche dazu auf, das Leben in seiner Gesamtheit zu betrachten und sich seiner selbst bewusst zu werden. Erst daraus ergibt sich für ihn die Möglichkeit der Freiheit. So gesehen ist der Wille zur Macht eine Art Urkraft – und der Mensch ist nicht nur zu einer solchen fähig, sondern ist selbst Teil dieser Kraft.

Dieser Halbsatz ist essentiell, denn sobald man sich selbst als Teil von etwas erkennt – und genau von diesem Erkennen spricht Nietzsche – verändert dies auch den Herrschaftsanspruch gegenüber dieser Gruppe. Das wirft die Frage auf, ob es einem Politiker jemals in den Sinn kommt, dass er/sie nicht nur Bundeskanzler, Ministerin, Präsident, Landtagsabgeordnete oder Bürgermeister, sondern selbst immer auch Bürger ist.

Macht als Vorwurf

Während man Bundeskanzler Sebastian Kurz wie selbstverständlich unterstellt, Macht zu wollen und diesem Wollen so Manches unterzuordnen, wird über die Grünen gesagt, sie hätten kürzlich ihre Seele für diese Macht verkauft. In beiden Fällen wird nicht abgewartet, wie sich die Regierungsarbeit entwickelt. Jene Macht, die die Regierungsmitglieder innehaben, wird den türkisen PolitikerInnen von ihren Wählern und Wählerinnen als positiv angerechnet, während bei so manchen GrünwählerInnen die Sorge auftaucht, die Grünen könnten ihre Ideale diesem Willen zur Macht unterordnen.

Tatsächlich wird Macht im Sinne Nietzsches nur erfolgreich sein, wenn man den Willen zu ihr hat. Man muss etwas wollen, um es glaubhaft umsetzen zu können. Das gilt selbstverständlich auch für Macht.

Auch Regionalpolitik lebt vom Willen zur Macht

Nietzsches Verständnis des Willens zur Macht wird besonders interessant, wenn man weggeht von der Bundespolitik und die Landes- sowie die Regionalpolitik betrachtet. Das Verschwimmen des Politikerseins mit der Tatsache, dass jeder Politiker und jede Politikerin auch BürgerIn ist, hat im Regionalen die größte Bedeutung. Denn einerseits beeinflussen RegionalpolitikerInnen mit ihren Beschlüssen deutlich spürbar auch ihr eigenes Leben (eben als Bürger), dann ist schnell der Vorwurf da, man hätte es sich gerichtet. Andererseits lässt sich politisch auch Vieles verhindern, was als unangenehm oder unnotwendig empfunden wird. Der Maßstab dafür ist dann häufig das eigene Sein als PolitikerIn.

Je mehr die PolitikerInnen in den Wahlkampfmodus kommen – und das findet häufig schon Jahre vor der Wahl statt – desto eher wird nur noch angedacht, gefördert und umgesetzt, was Stimmen bringen könnte. Manche Regionalpolitiker sind Meister darin, zum richtigen Zeitpunkt vor den Wahlen die eigene Macht für kleine oder größere Gefallen zu nützen, um damit Stimmen zu maximieren. Das ist menschlich, doch für das Gesamte nicht unbedingt klug. Man kann es auch Machtmissbrauch nennen.

Der Wille zur Macht gehört nicht nur den Politikern

Doch gerade dagegen gibt es ein Gegenmittel: Man muss Machtmissbrauch nicht hinnehmen und man muss als BürgerIn nicht warten, bis „die Politik“ etwas umsetzt, das man selbst als bedeutsam empfindet. Wahrheiten sind nicht einfach wahr, Wahrheiten werden gemacht. Der Wille zur Macht kann mit diesen Wahrheiten spielen, er kann aber auch korrigierend eingesetzt werden. Und genau hier kommen die BürgerInnen ins Spiel, denn der Wille zur Macht gilt selbstverständlich nicht nur für PolitikerInnen.

Dies sei vor allem jenen gesagt, die meinen, man könne nur umsetzen, was von Bund, Land oder Gemeinde geduldet oder gefördert wird. Es gibt zwar in einer funktionierenden Demokratie den legislativen Rahmen, innerhalb dessen man agieren kann, man braucht aber nicht immer die Politik, um etwas zu verwirklichen. Gerade dort, wo BürgerInnen selbst tätig werden und nicht warten, bis PolikerInnen erkennen und handeln, geschieht etwas. Greta Thunberg ist nur eines von zahllosen Beispielen, wo Menschen den Willen zur Macht im Sinne Nietzsches ergriffen haben.

Indem man erkennt, was man will und warum man etwas als gut empfindet, entwickelt man diesen Willen zur Macht. Man kann dann auch erkennen, dass PolitikerInnen im Gegensatz zu dem, was manche glauben mögen, nicht gottgesandt sind. Kein Politiker hat seinen Job durch eine höhere Macht erhalten. Das gilt im Übrigen auch für BeamtInnen. Ihrer beider Verantwortung ist weniger der Wille zur Macht, sondern der Dienst an der Öffentlichkeit.

Für die Bevölkerung darf diese Einsicht allerdings nicht genug sein, sondern es ist Teil des demokratischen Konsenses, den Willen zur Macht selbst zu ergreifen und den Dienst an der Gemeinschaft zu übernehmen, wo PolitikerInnen sich verweigern.

Erstmals erschienen in: Dolomitenstadt