Konsumieren wir uns mit gutem Gewissen zu Tode?

Nicht Plastik sondern Entpolitisierung treibt den Klimawandel an

 

PolitikerInnen haben manchmal das Glück, dass sich Themen von selbst erledigen. Nicht so der Klimawandel. Wir dürfen und müssen davon ausgehen, dass er nicht nur die heutigen Generationen beschäftigt. Man wird weiterhin viel von Bemühungen auf allen Seiten hören, ob etwas geschieht, wird davon abhängen, welche Opfer die Zivilgesellschaft bereit ist im Namen der nachfolgenden Generationen zu bringen.

Die Wissenschaft hat noch unzählige Fragen zum Klimawandel. Fakten sind zwar in aller Munde, doch basieren sie auf Modellrechnungen. Das macht sie nicht weniger realistisch, doch wird man erst in einigen Jahr(zehnt)en wissen, was geschehen sein wird. Fest steht heute nur: Das Klimathema ist gekommen, um zu bleiben, solange nicht ganz wesentliche Schritte gemacht werden.

Zur Diskussion muss damit automatisch auch der Kapitalismus stehen, denn er beeinflusst unseren Handlungsspielraum und sorgt in hohem Maße für Umweltzerstörung, denn Produktivität geht immer einher mit einem Maß an Destruktivität. Zwar kann man dies einschränken, doch weit entfernt von den wirtschaftlichen Zentren leiden jene, die es sich nicht leisten können, nein zu sagen oder deren Nein nicht gehört wird.

Kapitalismus = Produktivität + Destruktivität

Tun wir nicht so, als wäre das neu. Der renommierte Club of Rome hat dies bereits 1972 in „Die Grenzen des Wachstums“ deutlich gemacht. Es war bloß bequemer, den Bericht zu ignorieren. Der Kapitalismus hat seitdem nicht nur nicht zur Lösung des Klimawandels beigetragen, sondern er lässt uns bis heute glauben, es sei alles zu schaffen, wenn wir nur das Richtige – und davon ausreichend – konsumieren.

Es ist erstaunlich, wie es gewissen Parteien und Organisationen gelungen ist, uns so weit zu manipulieren, dass Wachstum noch immer als Notwendigkeit betrachtet wird, der wir alles unterzuordnen haben. Dieses Muss führt erwiesenermaßen lediglich zu mehr Ungerechtigkeit und Unrecht, zu Umweltzerstörung und Leid.

Doch genau hier setzt die Schizophrenie unserer Gesellschaft an: Wir konsumieren uns mit gutem Gewissen zu Tode und machen es uns bequem mit sogenannten umweltschonenden Produkten. Auf Maßnahmen gegen Strohhalme und Einwegverpackungen haben wir uns in Europas Gesellschaften relativ leicht einigen können. Man hält uns damit beschäftigt, winzigste Korrekturen in unserem Alltagsleben umzusetzen und immer wieder für eine noch geringere Kleinigkeit Feuer und Flamme zu sein. Mit viel Glück sorgen wir so für das eine oder andere gerettete Tier, was selbstverständlich wunderschön ist. Doch wird es die Welt nicht retten. 

Es ging uns nie um die Rettung der Welt

Und ehrlich, es geht uns doch nie um die Welt. Diese hat vielleicht schon Schlimmeres ausgehalten als die Menschheit. Wir versuchen nur, unsere eigene Haut zu retten. Und das machen wir denkbar schlecht: PolitikerInnen werden der Bevölkerung im Eigeninteresse ganz gewiss nicht den bitteren Wein der Wahrheit einschenken. Die Wirtschaft verdient gut damit, uns einzureden, dass der Klimaschutz neue, bessere, freundlichere und glücklicher machende Produkte und Jobs – kurzum ein noch besseres Leben – bescheren wird. Und das macht niemanden stutzig? Die Bevölkerung hört es gerne, kauft das nächste umweltfreundlichere Gerät und macht so weiter wie bisher.

Der Nachhaltigkeits- und Demokratieforscher Daniel Hausknost nennt diese „faulen Kompromisse“ die „Nicht-Nachhaltigkeit unseres Systems“, und der Soziologe Stephan Lessenich spricht davon, dass wir es uns heimelig machen im eigenen Heim und in der Auslagerung der Kosten unserer Lebensführung. Das trifft auch die engagierte Zivilgesellschaft, denn so wohlgesonnen man den Jugendbewegungen wie Fridays for Future oder Extinction Rebellion sein sollte, so sehr muss man sich vor Augen halten, dass dies elitäre Projekte sind, die zwar Menschen weltweit vernetzen, doch nur jene, die es sich leisten können. Dass dies mehr ist, als so mancher Erwachsene tut, ist lobenswert. Nur darf es die Frage nicht verschleiern, wer was tun kann.

Wer ist nun wirklich für den Umweltschutz verantwortlich?

Die individuellen Bürgerinnen und Bürger können sich noch so bemühen, es lässt sich nicht alles individuell lösen – nicht einmal im Kollektiv. Und die Politik?

Die deutsche Denkfabrik adelphi hat unter Führung von Alexander Carius 2019 nachgewiesen, dass es zwar die rechtsradikalen Parteien sind, die den Klimawandel leugnen, dass es aber die sogenannten Volksparteien sind, die noch kontraproduktiver abstimmen, wenn es darum geht, den Klimawandel mit konkreten gesetzlichen Maßnahmen aufzuhalten. Zwar ist die FPÖ unglaubwürdig, wenn sie sich plötzlich den Klimaschutz an die Fahnen heftet, doch Parteien wie die CDU oder ÖVP stimmen im europäischen Parlament wesentlich zaghafter für umweltpolitische Maßnahmen als manche extreme Rechtspartei. Sogar die ungarische Fidesz scheint diesbezüglich mutiger.

Wir haben schlichtweg nicht mehr die Wahl.

Für dieses Zaudern haben wir keine Zeit mehr. Es braucht großflächigere Entscheidungen. Komplizenschaft und Ablenkung waren einmal. Moral ist ebenfalls keine hilfreiche Kategorie. Auf technische Lösungen werden wir uns nicht verlassen können; ebensowenig auf Konsumprodukte. Routinen müssen gebrochen werden, auch die ganz liebgewonnenen. Es braucht rasche und sehr unbequeme politische Entscheidungen, die konsequent umgesetzt werden – ohne Angst vor WählerInnenschwund, denn der kommt sowieso wenn die BürgerInnen begreifen, wie schlecht es wirklich um die Umwelt steht.

Wir würden alles für unsere Kinder und Enkelkinder tun. Aber würden wir uns auch in unserem Lebensstil einschränken, damit diese Kinder die Möglichkeit auf ein gutes Leben haben? Wer bereit ist, auf Fleischkonsum, Reisen, ständig neue Produkte, technische Geräte, Mode und Lebensmittel aus dem Süden oder aus dem Glashaus zu verzichten, der möge bitte laut sein und andere überzeugen.

Erstmals erschienen in: Dolomitenstadt