Staat und Religion? Nur nicht festlegen!

Die Aufregung um Sebastian Kurz‘ Wahlkampfauftritt bei einer religiösen Gruppe zeigt einmal mehr: Der österreichische Staat ist zwar säkular, doch hat man sich nie überwinden können, das konkret festzuschreiben

 

Machen wir einen kleinen Versuch: Rufen Sie die aktuelle Version der österreichischen Verfassung auf und suchen Sie nach dem Wort Säkularität. Sie werden keinen Treffer finden. De facto steht die Trennung von Staat und Kirche nicht in der Verfassung. Indirekt findet man diese dennoch, da dem Staat lediglich weltliche, irdische Aufgaben gestattet werden. Gibt man das Wort Religion ein, stellt man fest, dass die Republik Österreich ihre Rolle gegenüber Religionen vorwiegend in einer Schutzfunktion wahrzunehmen hat. Die Religionsfreiheit wird dabei durch Individualrechte, die die einzelnen Bürger und Bürgerinnen betreffen, sowie über Korporationsrechte – diese richten sich an Religionsgemeinschaften – garantiert.

Das bedeutet: Man darf nicht nur glauben, was man möchte, man darf diesen Glauben auch offiziell ausüben, darf Gottesdienste besuchen sowie abhalten, kann Religionsunterricht erhalten und einiges mehr. Die Schutzfunktion von Religionsgemeinschaften gilt übrigens auch für Atheisten und Agnostiker, denn sie legt fest, dass niemand zur Religionsausübung gezwungen werden darf.

Die Trennung von Staat und Kirche in Österreich ist wenig explizit. Eine Aufforderung an Politiker, mithilfe von Religionsgruppen Wahlkampf zu machen, oder umgekehrt eine Einladung an religiöse Gruppierungen, sich in den Wahlkampf einzumischen, ist dies allerdings keineswegs. Gehen wir davon aus, dass sich das Team des nunmehr evangelikal gesegneten Altkanzlers Sebastian Kurz etwas dabei gedacht hat, als die Einladung zur Großveranstaltung vor einigen Monaten angenommen wurde. Für alle anderen darf es ein Anlass sein, wieder einmal über die Säkularisierung Österreichs nachzudenken.

Fast niemand wagt sich an das Thema heran

Warum initiiert keine politische Partei die konkrete Verankerung der Trennung von Staat und Kirche in der Verfassung? Die Antwort dürfte darin liegen, dass Religion in all den Jahrhunderten seit dem Toleranzpatent (1781 unter Joseph II.) eine emotionale Angelegenheit geblieben ist. Daher eignen sich Auftritte bei religiösen Veranstaltungen seit jeher für Wahlkämpfe. Diese Emotionen betreffen nicht nur Gläubige. Viele religiöse Werte gelten längst als Teil der Kultur und beeinflussen das moralische Weltbild insgesamt. Das wiederum ist kein österreichisches Phänomen, sondern gilt für jede Region der Welt, die über Jahrhunderte das eine oder andere religiöse Monopol aufgewiesen hat.

Die Festschreibung wäre vor allem symbolisch

Würde die Säkularisierung stärker umgesetzt, wäre die Schutzfunktion für Religionen kein Widerspruch, da diese über die Menschenrechte und andere internationale Verträge festgelegt ist. Ebenso müsste man nicht fürchten, dass bei einer Festschreibung der Trennung von Kirche und Staat alle kirchlichen Feiertage verlorengingen. Das wäre schon aus wirtschaftlichen und wiederum emotionalen Gründen (siehe Karfreitagsregelung) undenkbar. Auch eine Bestimmung, wie sie in einigen Staaten der USA üblich ist, dass man seine Feiertage persönlich mit dem Arbeitgeber verhandelt, was dann wiederum auch nicht-religiöse Tage einschließen könnte, liegt in weiter Ferne.

Dennoch lohnt es sich, immer wieder einen Blick auf den Status der Säkularisierung in Österreich zu werfen. Die Zugehörigkeit zu einer Religion beinhaltet nämlich den Glauben an die sogenannten letzten Dinge, und diese sind vielfach nur als Entweder-oder zu beurteilen, womit sich eine zumindest indirekte Intoleranz gegenüber einem Andersdenken ergibt.

Während sich verschiedene Religionen seit langem darum bemühen, dieses Denken in Toleranz umzuwandeln, tun evangelikale Gruppierungen dies eher nicht, sondern benützen gerade die Alleinstellungsmerkmale als Überhöhung des eigenen Glaubens und damit als gefährliche politische Waffe. Schon allein das spricht für eine weitere Säkularisierung Österreichs und in der Folge auch eine Trennung von Politik(ern) und Religion.

Erstmals erschienen in: Der Standard