Die Wiedergeburt der Eigenverantwortung

Demokratie heißt, selbst zu denken. Es liegt an uns, welche Themen ins Zentrum rücken.

 

Macht ist ein fragiles Konzept. Jene, die Macht haben, wissen das meist und sorgen dafür, dass es in Vergessenheit gerät. Die Bevölkerung wiederum schätzt ihren eigenen Einfluss meist als zu gering ein. Die Folge ist das Hinnehmen dessen, was von oben verordnet wird. Vielleicht ist bei manchen Parteien gerade deshalb die politische Bildung so unbeliebt. Schweigen, ducken und hinnehmen führen allerdings unweigerlich in die Unzufriedenheit. Davon profitieren oft jene, die versprechen, alles anders zu machen und ihre Konzeptlosigkeit hinter großen Worten verbergen.

Politisch gesehen gibt es immer wieder kleine Fenster, durch die man in eine andere Wirklichkeit schauen kann: Wie wäre es, wenn … Ob man dieses Fenster öffnet und sich das genauer ansieht, oder sogar die Tür aufmacht und durchgeht, hängt vom Mut ab und davon, was man sich selbst zutraut. Da sind wir wieder bei dem Punkt, dass sich viele Menschen nicht allzu viel zutrauen.

Auf die Zustimmung folgt die Kritik

Was das mit Macht zu tun hat? In Zeiten des Umbruchs schaut und hört die Bevölkerung auf jene, die sie führen. Daher erleben Regierungen in Krisenzeiten hohe Zustimmung. Das ist ein normaler Prozess, der nur selten an der tatsächlichen Fähigkeit der EntscheidungsträgerInnen liegt. Interessant wird es stets danach, denn auf den Höhenflug folgt unweigerlich die Kritik: Weder kann man es allen recht machen, noch kann man als Regierung fehlerfrei durch eine Krise gehen, deren Gefahrenpotenzial niemand kennt.

Auch manches Versprechen sieht nachträglich betrachtet recht schal aus, weil nicht alle gerettet worden sind. Es war, so stellt sich jetzt heraus, auch nie so intendiert, denn der Kapitalismus funktioniert nach wie vor nach dem Gesetz, dass nur die Stärkeren überleben und den anderen nicht zu helfen ist. Die Kritik nach der lange anhaltenden Zustimmung hat dementsprechend begonnen.

Nicht die Parteien bringen die Rettung

Die Bevölkerung ist mit ihrer Ratlosigkeit nach der Krise weitgehend auf sich alleine gestellt. Nur eine Oppositionspartei verschafft sich Gehör, während die FPÖ noch nicht weiß, ob sie die Schuld an der aktuellen Situation den Chemtrails, den Flüchtlingen oder den Aufdeckern des Ibiza-Videos zuschieben soll. Die SPÖ erholt sich von der Anstrengung, der es bedurfte, um aus dem Homeoffice heraus die Parteiführerin so zu beschädigen, dass sie still bleiben muss, und sie gleichzeitig so zu loben, dass die Wienwahl im Herbst nicht allzu schmerzhaft ausfällt. Kein Wunder, dass die wundersamsten Ideen, Heilsversprechungen und Verschwörungstheorien Fuß fassen können. Dahinter steckt wieder das zu geringe Selbstvertrauen der Bevölkerung. Warum glauben so viele Menschen, dass sie Parteien oder andere Organisationen brauchen, die ihnen sagen, was zu tun ist?

Jetzt wäre die Gelegenheit, selbst Verantwortung zu übernehmen. Der Großteil der Menschen hat begriffen, dass Händewaschen doch nicht so altmodisch ist und dass man nicht jeden umarmen muss, um Respekt und Zuneigung zu zeigen. Viele weichen instinktiv zurück, wenn ihnen jemand nahe kommt. Das sind beste Voraussetzungen für die Eigenverantwortung zu entscheiden, wie man sich und alle anderen schützt. Man muss dafür weder überwacht noch gestraft werden.

Zeit, die Dinge in die Hand zu nehmen

Damit aber hört die Eigenverantwortung nicht auf. Sie geht weit darüber hinaus und hat viel mit dieser fragilen Macht zu tun. Denn die aktuelle Rückwärtsgewandtheit, mit der leidenschaftlich diskutiert wird, wer in den letzten Wochen was falsch gemacht hat, ist wenig hilfreich. Es ist bereits geschehen, lässt sich nicht ändern und beurteilen wird man es erst in einigen Jahren können. Das soll und darf niemanden aus seiner Verantwortung entlassen. Doch derzeit bindet die Diskussion sinnlos jene Energie, die dringend für den Wiederbeginn gebraucht würde.

Wie die Welt nach der Pandemie gestaltet wird, wird heute entschieden. Es wird am Einfluss der Bevölkerung liegen, welche Themen ins Zentrum rücken und wer Macht behalten oder erhalten soll. Furcht ist dabei ein ebenso schlechter Ratgeber wie zu meinen, man würde von regionalen oder nationalen PolitikerInnen gerettet. Demokratie bedeutet zu denken und selbst tätig zu werden, anstatt sich auf neue Verordnungen zu verlassen oder den bequemen Weg zu gehen, sich von Fake News berieseln zu lassen. Die nächste Wahl steht vor der Tür. Irgendwann. Erst dann nachzudenken sowie zu erkennen, dass man Einfluss hat, ist spät. Denken und gestalten kann man auch so. Man braucht dafür nur Eigenverantwortung und Gleichgesinnte.

Zuerst erschienen auf: Dolomitenstadt