Lockdowns haben häusliche Gewalt steigen lassen

Der internationale Frauentag zeigt Probleme auf, die dann wieder vergessen werden.

 

Krisen haben die Tendenz, den Status Quo festzuschreiben und darüber hinaus, Neues zu verwerfen oder gar zu vergessen, denn die menschliche Psyche verlangt in der Krise nach dem Vertrauten. Und vertraut ist, was lange schon ist, woran man gewöhnt wurde, so falsch es auch sein mag.

Männer haben gelernt, dass sie das starke Geschlecht sind. Dass sie die Schmerzen einer Geburt eher nicht aushalten würden und schon der Männerschnupfen ein wahrliches Drama ist, ändert daran wenig, denn Männer haben auch gelernt, dass sie führen sollen. In der Krise ganz besonders.

Die ewig gleichen Statistiken

Krisen sind daher eine schlechte Zeit für gesellschaftliche Veränderungen. Das gilt für Frauen ebenso wie für andere Geschlechter, für Menschen anderer Kulturen als dem Mainstream und ganz besonders für Menschen, deren Hautfarbe nicht rosa ist. So heißt es wieder: bitte warten. Man(n) werde sich bald darum kümmern, zunächst aber sei die Krise zu bewältigen. Als ob Gerechtigkeit die Pandemiebekämpfung behindern oder ihr Geld abziehen würde.

Um nicht für Unmut zu sorgen, werden Statistiken hervorgeholt, wie viele Bürgermeisterinnen es inzwischen gibt, wie viele Ministerinnen und wie viele Konzerne inzwischen (auch) von Frauen geleitet werden. Dass der nächste Frauenjob darunter häufig die Assistentinnenstelle ist, wird nicht angesprochen, ebensowenig dass Frauen noch immer vielfach in Teilzeitjobs und in Pflegeberufen arbeiten, die massiv unterbezahlt sind. Dass sie generell für gleiche Arbeit noch immer weniger verdienen als Männer, wird verständnisvoll weggenickt.

Die Krise fördert Gewalt

Kann das noch irgendwer hören? Es reicht doch langsam. Warum jedes Jahr die nahezu identischen Statistiken, wenn man nicht bereit ist, etwas daran zu ändern?

Der unsicherste Platz für Frauen ist nach wie vor zuhause. Das wäre schon ohne Pandemie schockierend. Während einer solchen steigt nicht nur die Ansteckung durch ein Virus zum Teil exponentiell, sondern dasselbe tut die Gewalt in der Familie. Als beim ersten Lockdown vor möglicher steigender Gewalt gewarnt wurde, hieß es noch, dies sei ein Klischee. Bald allerdings zeigten die Gewaltstatistiken in allen europäischen Ländern eine Tendenz nach oben. In Österreich riefen alleine im ersten Halbjahr mehr als doppelt so viele Frauen bei Helplines an, um sich im Umgang mit der Gewalt zuhause beraten zu lassen.

Statistisch schlimmer wurde es im zweiten Lockdown, als die Nerven schon blank lagen. Die vermutete Dunkelziffer dürfte beängstigend höher liegen, und diese betrifft zudem die Schwächsten. Mit steigender Gewalt gegen Frauen, geht meist jene an Kindern einher – im Übrigen auch jene gegenüber alten und pflegebedürftigen Personen. Darüber wird noch weniger gesprochen. Sie sind der Gewalt aller Seiten ausgeliefert.

Gewalt im Netz

Eine andere Form der Gewalt an Frauen nimmt ebenfalls seit Pandemiebeginn rasant zu. Diese findet zwar nicht im familiären Bereich statt, doch indirekt durchaus zuhause, weil es sich um Hasspostings und um digitales Mobbing handelt. Auch dabei sind Frauen besonders betroffen, speziell Frauen aus ohnehin marginalisierten Gruppen. Gerade sie wehren sich viel zu selten, teilweise auch deshalb, weil sie einer ganz anderen Gewalt, jener durch den Staat, oder ständiger Diskriminierung ausgeliefert sind.

Laut den Zahlen des Frauenministeriums ist jede dritte Frau in Österreich von Gewalt im Netz betroffen. Die Folgen graben sich ebenso wie bei physischer Gewalt tief in die Psyche ein. Spätestens wenn man die Hilferufe überfüllter Frauenhäuser und die Zahlen digitaler oder physischer Gewalt kennt, muss man doch wach genug sein, um etwas zu verändern. Das geht einerseits in Richtung Aufklärung aller Seiten, wie man mit der eigenen aber auch der erfahrenen Gewalt umgeht, und andererseits das Erlernen von Techniken der Gewaltfreiheit sowie Gewaltbearbeitung.

Ein Handzeichen als Hilferuf

Man muss dabei nicht einmal auf den Staat hoffen. Kurse von der gewaltfreien Sprache bis hin zur Selbstverteidigung oder einfachen Übungen, um die eigenen Aggressionen beherrschen zu lernen, können hilfreich sein. Zwar mögen viele Projekte zur Gendergerechtigkeit im letzten Jahr hintangestellt worden sein, gegen Gewalt aber kann und soll man sich wehren. Der internationale Frauentag könnte dafür genützt werden, nicht nur hübsche, aufmunternde Videos für Mädchen zu drehen und traurige Statistiken zu veröffentlichen. Er könnte auch dazu genützt werden, aktiv gegen Gewalt vorzugehen.

Häufig bedeutet dies, dass man den betroffenen Frauen erst helfen muss, ihre Stimme zu erheben. Auch das ist in Zeiten von Lockdown und Homeoffice komplizierter. Die Canadian Women’s Foundation hat dafür eine Kampagne namens „Signal for Help“ gestartet, die weltweite Beachtung fand. Ein ganz einfaches Handzeichen mitten in einer Alltagskonversation im Videoanruf fungiert als Hilferuf. Die Person am anderen Ende der Leitung müsste es nur erkennen und dann auch handeln.

 

Zunächst erschienen auf: Dolomitenstadt