Wie man die Bevölkerung in einem Jahr verliert

Während die Bürger verzweifeln, dilettiert die Regierung, als wäre die Pandemie ganz neu.

 

Bundespräsident Van der Bellen machte es vor: Als Österreich noch ein Operettenstaat war und kaum größere Sorgen als einen größenwahnsinnigen Politiker mit Hang zu Korruptionsgedanken und (un)heimlichen Urlaubstreffen mit Oligarchentöchtern hatte, setzte er eine Expertenregierung ein. Expertise führte durch die Krise und rasch gewann die Regierung unter Führung der ersten Bundeskanzlerin Österreichs so sehr an Beliebtheit, dass sich die Stimmen mehrten, sie über die vereinbarte Zeit hinaus im Amt zu halten. Zwar blieben notwendige Reformen liegen, doch das Gefühl, professionell geführt zu werden, überwog.

Es war keine Staatskrise, sondern eine Krise der Regierung, hässlich und inakzeptabel, doch bewältigbar, wie Van der Bellen und Bierlein zeigten. Sie stand für einen Wahlkampf nicht zur Verfügung, es kam eine neue Koalition und gleich darauf die Pandemie. Obwohl sichtbar war, wie diese in Asien aus den Fugen geriet, blieb man unvorbereitet.

Wo ist die Expertenregierung, wenn man sie braucht?

Das war verzeihbar. So machte die Bevölkerung bereitwillig mit, als eine Freiheit nach der anderen für die Gesundheit ausgesetzt wurde. Es war nicht immer im Sinne der Verfassung, jedoch begleitet vom Willen, des gemeinsam durchzustehen. Die Basis dafür war das Vertrauen, dass Österreich gut organisiert ist und die Regierung zwar nicht alles richtig macht, doch den Anstand hat, das Wohl der Bevölkerung in den Mittelpunkt zu stellen. Auch gab es das Grundvertrauen, dass die Moderne für alles Lösungen und Mittel biete.

Dieses Gefühl liegt lange zurück. Nur die Regierung scheint fast am Anfang zu stehen. Nach all den Monaten wirkt allerlei noch immer improvisiert und schnell zusammengeschustert. Ein Bundeskanzler ohne Lebenserfahrung jenseits seiner Parteikarriere; ein Gesundheitsminister, der nie einer werden wollte; ein Innenminister, der sich in zwei Wahlkämpfen als Propagandaredner hervorgetan hatte; ein Finanzminister, dessen herausstechendste Eigenschaften die Freundschaft zum Kanzler und ein schwächelndes Erinnerungsvermögen sind; ein Vizekanzler, der es auch lieber endlich ein bisserl gemütlicher hätte; eine Europaministerin, die für ihren Parteifreund alles täte und dafür in Kauf nimmt, immer unscheinbarer zu werden. Wer würde sich da nicht nach einer Expertenregierung sehnen?

Wo ist James Bond, wenn man ihn braucht?

So wird es immer leichter, einen großen Plan hinter allem zu vermuten. Stillstand, Verbote, die nicht mehr zu durchblicken sind, Verbannung ins eigene Heim, Verlust von Jobs, von sozialen Kontakten und schließlich Verlust von Perspektive. Da muss doch etwas Großes dahinterstecken, oder? Jene, die einen bösen Plan hinter allem vermuten, haben in einem Punkt recht: Normalität war einmal. Es wird eine neue geben, und sie wird nicht allen gefallen. Doch der große Plan, den mögen zwar einige düstere Gestalten erträumen, letztlich indessen ist das Materie aus James Bond-Filmen, die auch nicht besser wird, wenn die Dreharbeiten in den Alpen stattfinden.

Allein der Gedanke an einen „Großen Plan“, wie er durch einige Bücher und exzessiv durch das Internet geistert, ist ein viel zu großes Kompliment an die Regierenden dieser Welt und an jene, die ihnen einflüstern. Wenn man sieht, wie derzeit selbst jene Staatschefs wanken, die lange für Stabilität gesorgt hatten, wie weltweit Minister ausgetauscht, Regierungen abberufen werden und die neuen schon gescheitert sind, ehe sie sich einarbeiten konnten, dann wird der vielzitierte große Plan ganz klein und irrelevant. Es steht zu befürchten, dass die Situation nichts ist außer vollkommen entglitten, und ein veraltetes System, das nicht mehr mit einer hochdigitalisierten Welt mithalten kann, zerbröselt wird.

Wo ist die Normalität, wenn man sie braucht?

Kein genialer Plan könnte dieses Chaos überleben. Es handelt sich schlichtweg um ein Totalversagen jener, die meinten, die Welt oder auch nur das kleine Österreich regieren zu wollen. Wenig beruhigend ist zudem, dass dahinter verkrustete Systemteile, Eigensinn, Ideenlosigkeit ebenso wie ein verzweifeltes Festhalten an der Macht stehen. Dann muss es so aussehen, als ob man als Bürger einem großen Plan zum Opfer gefallen wäre. Das ist immerhin heldenhafter, als zu akzeptieren, dass die politische Routine Menschen nach oben gespült hat, die zwar gut reden können, aber weder die nötige Ausbildung noch den Weitblick haben, um einen Staat durch die Krise zu lavieren. Nein, ein Virologe wäre auch kein geeigneter Bundeskanzler, doch er hätte im besten Fall mehr Interesse an der Bewältigung der Pandemie als an der auch im Lockdown immer perfekten Frisur und dem Zählen von wiedergewinnbaren Wählerstimmen.

Schwer wiegt die Lähmung der Gesellschaft, denn politische Partizipation ist derzeit nahezu abgesagt. Man kann sich entscheiden durchzutauchen und zu hoffen, dass die vom Regierungschef angekündigten vielen Tunnel und noch mehr Lichter an deren Ende bald kommen. Man kann immer grantiger werden, das hat in Österreich ohnehin Tradition und lenkt vom Tun-Müssen ab, oder das Ich flüchtet sich ungewollt in psychische Erkrankungen.

Tragisch aber ist: Viele psychisch erkrankte Menschen aber auch jene, die nun abdriften in den Glauben an einen großen bösen Plan, gehen der Gemeinschaft verloren. Regierungen werden kommen und gehen. Es wird an der Bevölkerung liegen, die Zukunft zu gestalten. Das kann nur in Solidarität zueinander gelingen und wenn jene, die sich nun abwenden, bereit sein werden, umzudrehen und mitzumachen.

 

Zunächst erschienen auf: Dolomitenstadt