Zeit für Optimismus

Die Verantwortung liegt nun bei der Zivilgesellschaft.

Diktatoren haben es leicht. Für sie wird die Pandemie zur perfekten Ablenkung von ihren Verbrechen. Vor allem außerhalb Europas wird die aktuelle Situation genützt, um ungeliebte Gesetze durchzubringen, in hilfreiche Regelungen gegen die Pandemie ganz anderes zu verpacken und um bestimmte Bevölkerungsteile weitgehend auszuschalten. Mit den passenden warnenden Worten und dem Aufruf zum vermeintlichen Schulterschluss wird Widerstand kleingeredet, noch ehe er sich bilden kann.

Auch Europa zeigt inzwischen wieder Potenzial für diktatorisches Verhalten. Doch so wachsam man aktuell als BürgerIn sein muss, so sehr darf man sich auch dessen bewusst sein, dass die europäischen Demokratien eine gewisse Stabilität besitzen, solange es ausreichend Menschen gibt, die an sie glauben und sie verteidigen. Einzelne und nur kurzfristig geltende Regelungen bedeuten nicht automatisch das Ende der Demokratie. Die Zumutung, von der die deutsche Bundeskanzlerin Angela Merkel sprach, sollte eine Warnung an die Aufmerksamkeit sowohl der PolitikerInnen als auch der Bevölkerung sein. Nicht mehr aber als das, denn was diese Zeit uns aktuell abverlangt ist insbesondere ein Hauch von Optimismus. Er ist das zarte Pflänzchen, das geschützt werden muss.

Schockstarre versus Kreativität

Wendet man den Blick ab von der Politik auf Regierungsebene, erkennt man ein überraschendes Bild: Während die einen kreativ werden, Ideen haben, diese fast nebenbei umsetzen und andere mitziehen, verfallen manche in eine Art Schockstarre. Erstaunlicherweise sind Erstere nur im seltensten Fall PolitikerInnen. Die eigentliche Kraft zum Wiederbeginn kommt aktuell aus der Bevölkerung.

Manche ansonsten wortgewandte Regional- und LandespolitikerInnen lassen kaum ein aufmunterndes Wort hören. Darauf angesprochen verweisen sie auf die viele Arbeit in ihrem Amt, um die Krise zu bewältigen – eingesperrt im Elfenbeinturm. Andere spielen den Ball gleich ganz nach oben weiter und überlassen das Reden dem Bundeskanzler und den MinisterInnen.

Politisch interessant wird es ausgerechnet dort, wo man wegschaut von den politisch Verantwortlichen. Die Opposition, die sich schwertut, gegen die allgegenwärtige Medienpräsenz der Regierung anzukämpfen, ist auch hier nicht gemeint, denn die eigentliche Veränderung findet derzeit in der Zivilgesellschaft statt. Da begegnet man ebenfalls den von der Situation nahezu Gelähmten. Sie haben allen Grund für ihre Starre, denn die Lage wird nicht schon morgen besser sein, sondern manche besonders schweren Teile der Krise stehen der Gesellschaft noch bevor. Nicht alles wird sich durch Verordnungen der Regierung regeln lassen. Vielmehr werden regionale und kleinteilige Lösungen notwendig werden.

Ein Auftrag für alle Generationen

Da sind wir wieder bei jenen, die mit der vielzitierten Leichtigkeit des Seins kreativ werden, Neues beginnen und Flexibilität nicht nur für sich zeigen, sondern ihre Ideen teilen und andere einbeziehen. Wer in den letzten Wochen die Augen öffnen wollte, ist solchen Menschen begegnet, die in der Krise tätig geblieben sind oder es erst wurden, weil sie der Starre nicht länger zusehen wollten. Bei manchen war es eine Frage des wirtschaftlichen, bei anderen des mentalen Überlebens. Übrig bleibt, dass in vielen Regionen der Welt neue Stimmen laut geworden sind – und dies nicht aus politischem Kalkül, sondern aus einer inneren Notwendigkeit heraus.

Viel ist in den letzten Jahrzehnten über das sogenannte gute Leben geschrieben worden, das nicht Luxus meinte, sondern wirtschaftliche und politische Konzepte, die ökologisch und sozial tragbar sind, die nicht ausschließen, sondern einbeziehen und dadurch allen ein Leben ermöglichen, das sie als gut bezeichnen können. Es hat stets wie eine unerreichbare Utopie geklungen – bisher. Denn dazu braucht es ein Denken, das nicht in der Konkurrenz seine Kraft findet, sondern im gemeinsamen Tätigwerden. So schlimm die aktuelle Krise ist und noch wird, so schenkt sie uns die einmalige gesellschaftliche Chance, manches neu aufzubauen, achtsamer und nachhaltiger. Die alteingesessenen politischen Strukturen und die üblichen Akteure werden es auf nationaler, internationaler oder auf regionaler Ebene kaum vermögen, das zu tragen. Die Kraft für eine Veränderung kann nur aus der Zivilgesellschaft heraus entstehen. Sie ist ein Auftrag an alle Generationen. Letzten Endes bedeutet das optimistische Aufstehen dafür, ein/e mündige BürgerIn im Namen nachfolgender Generationen zu sein.

Erstmals erschienen in: Dolomitenstadt