Die Corona-Maßnahmen sind zu unübersichtlich

Die Politik übersieht die psychischen Folgen ihres Handelns.

 

„Bald wird jeder jemanden kennen, der“ … an psychischen Folgen der Pandemie leidet. Die ständige Beschäftigung mit dem allgegenwärtigen Thema Corona, existentielle Sorgen und der konstante Stress einer potentiellen Ansteckung ohne eine zeitliche Perspektive auf Besserung der Lage machen den Alltag für viele Menschen immer unerträglicher. Angstzustände, Aggression und fehlendes Vertrauen in die Zukunft sind nur einige der Folgen.

Die Regierung ignoriert dieses Problem und verbreitet in zunehmendem Maße unklare Botschaften. Dabei führt sie ihre eigenen Maßnahmen ad absurdum. Bestes Beispiel ist die lang angekündigte Corona-Ampel, die binnen weniger Tage ihre Sinnhaftigkeit verlor, indem grün dieselben Maßnahmen hervorbrachte wie gelb oder orange. Wozu eine Ampel, die ursprünglich dafür entwickelt wurde, die Maßnahmen an die regionalen Gegebenheiten anpassen zu können und überschaubar zu machen, wenn jeweils ein gesamtes Bundesland gleich behandelt wird, egal welche Farbe die einzelnen Bezirke haben?

In der Bevölkerung kommen Zweifel auf

Die Erklärungen dafür bleiben ausgerechnet zu einem Zeitpunkt aus, an dem die Nerven in der Bevölkerung blank liegen und es dringend Botschaften bräuchte, die vermitteln, dass die unterschiedlichen Behörden und Entscheidungsträger wissen, was sie tun. Derzeit ist das Gegenteil der Fall. Kein Wunder, wenn die BürgerInnen die Sinnhaftigkeit mancher Maßnahmen bezweifeln, da sie willkürlich und wenig überdacht wirken. Das ist weder politisch noch psychologisch klug.

Erst vor wenigen Tagen veröffentlichte die Sigmund-Freud-Universität eine Studie zu den psychischen Auswirkungen der Pandemie. Die Ergebnisse erschrecken besonders dann, wenn man beachtet, dass der Untersuchungszeitraum in der zweiten Maihälfte lag. Das war jene Zeit, in der man langsam aufatmen konnte. Die Ansteckungszahlen gingen ein wenig zurück, die Maßnahmen wurden gelockert, viele Geschäfte und Lokale hatten wieder geöffnet. Es gab ein Quäntchen Hoffnung.

Die psychischen Kosten der Maßnahmen

Wenn allerdings bereits im Mai 39 Prozent der Befragten angaben, sie fühlten sich vermehrt gereizt, 23 Prozent sagten, schon Kleinigkeiten bringe sie aus der Ruhe und sich ein Fünftel durch die Corona-Krise psychisch belastet fühlte, dann lässt sich erahnen, wie es der Bevölkerung heute geht. Nicht zufällig sprechen die StudienautorInnen von einer „psychosozialen Pandemie“ und rechnen mit einer hohen Zunahme an psychischen Problemen in den nächsten Monaten. Der Tag hat weniger Sonnenstunden, das Schreckgespenst eines eventuell zweiten Lockdowns geht um und die Krisenkommunikation der Regierung sowohl auf nationaler wie auf Länderebene lässt zu wünschen übrig.

Kommunikationsexperten empfehlen Politikern meist einfache Botschaften. Das ergibt kurzfristig Sinn, allerdings gehen dadurch wesentliche Zusammenhänge verloren. So verständlich es im März war, dass die Regierungsmitglieder zu dramatischen Worten neigten, so gefährlich ist es, bis heute an diesen Schreckensszenarien festzuhalten und fast täglich eine neue Botschaft zu übermitteln, ohne dass dabei darauf geachtet würde, wie es regional aussieht.

Blindheit gegenüber den Bedürfnissen der Bevölkerung?

Ein Klischee besagt, dass sich Politiker und Politikerinnen zu sehr in den immer gleichen Kreisen bewegen und daher zuwenig Ahnung davon haben, wie es der Masse der Bevölkerung geht, welche Sorgen sie im Alltag hat und was sie bewegt. Auch ihre BeraterInnen kommen meist aus einer ähnlichen Gesellschaftsschicht. Irgendjemand aber müsste ihnen möglichst bald ausrichten, dass man dabei ist, sowohl auf Landes- als auch auf Bundesebene das zu verspielen, was die Demokratie sowie die psychische Gesundheit dringend bräuchten: Vertrauen. Ohne dieses wird das Problem des Winters nicht nur lauten, wie es der Wirtschaft geht und wie viele Personen gerade an Covid-19 erkrankt sind, sondern wie hoch der Prozentsatz an traumatisierten Menschen ist. Sinnvoll wäre daher etwas weniger Drohung in der Kommunikation, dafür aber Maßnahmen, die regional abgestimmt und nachvollziehbar sind. Selbst wenn dies bloß umgesetzt würde, um bei der nächsten Wahl gut abzuschneiden.

 

Zunächst erschienen auf Dolomitenstadt