Österreichs Politik hat ein Problem: Ignoranz

Wäre die Demokratie ein Mensch, würde sie sich hinsetzen und weinen.

 

Der Sommer hat begonnen. Das ist das Beste, was man über diese Woche zu sagen vermag. Demokratiepolitisch hingegen können einem nur die Tränen kommen. Dabei muss man nicht einmal einen Blick auf die desaströse Corona-Politik von Trump, auf den Immer-für-ein-Fettnäppchen-gut-Minister Seehofer oder den Möchte-gern-für-immer-Herrscher Putin werfen, sondern man darf sich getrost Österreich widmen. Hier scheinen zumindest einige PolitikerInnen keine Ahnung von Demokratie zu haben – oder sie tangiert diese nicht. Beides ist untragbar.

Es lebe die Löschfunktion

Dem Verhalten von Kurz und Blümel beim Ibiza-Ausschuss ist wenig hinzuzufügen, außer: Bitte legen Sie endlich Ihre Ignoranz gegenüber dem Parlament und damit gegenüber der österreichischen Verfassung ab! Die ÖVP, seit dem katastrophalen Umgang mit dem Fall Ischgl und dem Nicht-Krisenmanagement nach dem Luder-Sager in Tirol deutlich angezählt und wohl nur deshalb ohne Neuwahlen, weil die Opposition zu schwach oder mit Porschefahren beschäftigt ist, droht derzeit auch auf nationaler Ebene ihre Rolle als staatstragende, seriöse Partei zu verspielen.

So perfekt die Message Control der ÖVP in den letzten Jahren Politik und Macht wie ein Kinderspiel aussehen ließen, so sehr haken seit einigen Wochen die öffentlichen Auftritte. Das Politmärchen stellt sich nicht mehr kratzerfrei dar, denn es war einmal ein Bundeskanzler, der von all den Vorgängen in seinem Land nichts wusste. Er besaß zwar ein Telefon – im Gegensatz zu seinem armen Minister, der keinen Computer hatte – doch löschte er seine Chatverläufe. Somit konnte er weder seine (Un-)Schuld noch sein Verantwortungsgefühl als Kanzler beweisen, lächelte schelmisch hinter seiner Maske über das kluge Argument, er hätte all das aus Sicherheitsgründen getan, und ging gelassen seines Weges.

Alternative Fakten?

Als BeobachterIn darf man allerdings fragen, um wessen Sicherheit es geht. Ein Bundeskanzler ist der Bevölkerung gegenüber verpflichtet. Schützt er mit dem Löschen von Nachrichten wirklich diese Bevölkerung, oder nicht etwa nur sich selbst? Es geht dabei nicht bloß darum, ob in den Textnachrichten etwas Essentielles gestanden wäre, sondern es handelt sich um einen Umgang mit den demokratischen Institutionen, der der Demokratie nicht gut tut und Zweifel aufkommen lässt, ob sich diese Partei noch für irgendetwas anderes als für sich selbst interessiert. Darf man einem Bundeskanzler in Anlehnung an Bruno Kreisky ausrichten, „Lernen Sie Demokratie, junger Mann“?

So lassen die alternativen Fakten eines Donald Trump grüßen, wenn Finanzminister Blümel noch einen Schritt weiter geht, indem er vielleicht nichts gelöscht hat, weil er behauptet, das umstrittene technische Gerät – in diesem Fall einen Laptop – erst gar nicht besessen zu haben, obwohl seine eigene Partei im zur Frage stehenden Jahr Fotos veröffentlichte, die ihn als Workoholic fröhlich in die Tasten eines Laptops tippend zeigen. Sich nicht zu erinnern, ist keine Tugend, sondern entweder ein Hinweis auf fehlende geistige Eignung für einen so wichtigen Job wie den eines Finanzministers – das kann man ausschließen – oder ein Zeichen von Ignoranz gegenüber dem demokratischen System des Landes, dem man dient. Auch Letzteres ist zumindest unschön.

Auch die Opposition strauchelt demokratiepolitisch

Gleiche Woche, gleicher Ausschuss: Die Vertreterin einer Partei, die sich Transparenz und einen unzynischen Umgang mit der Demokratie auf die Fahnen geheftet und damit bisher glaubwürdig hantiert hat, gibt mit einem unflätigen Zitat den Anstoß, dass die Verfahrensrichterin des Ibiza-Ausschusses aufgibt. Das Zitat mag nicht der einzige Grund gewesen sein und der Tücke von noch nicht abgeschalteten Mikrophonen sind bereits viele PolitikerInnen zum Opfer gefallen, doch reiht sich der Sager samt Nicht-Entschuldigung in eine Welle der Ignoranz und Demokratieverachtung im Hohen Haus ein, in der keine einzige Partei gut aussieht.

Man möge es sich auf der Zunge zergehen lassen: Die SPÖ, deren Chefin so weit abgetaucht ist, dass man sich kaum an sie erinnert, wird – was die Medienpräsenz angeht – vom burgenländischen Landeshauptmann vertreten, der in seiner einstigen Funktion als Verteidigungsminister der FPÖ geraten hatte, einen Verein zu gründen, um Geld zugeschoben zu bekommen. Demokratiepolitische Punktlandung! Nur um die Grünen war es diese Woche recht still. Sie zeigen ihre unverzeihliche Schwäche: fehlenden Mut. Dem ist nichts hinzuzufügen.

Hinsetzen, weinen und auf bessere PolitikerInnen warten?

Und dann setzen die Tiroler Neos gleich noch eines drauf und wollen eine „Volksbefragung zum Wolf“. Meine Damen und Herren, auch hier darf man von der Vergangenheit lernen. Die direkte Demokratie ist zwar eine wichtige Errungenschaft, doch im Laufe der Geschichte hat man gelernt, jene Themen nicht über partizipative Methoden entscheiden zu lassen, die von Polemik überschattet sind. Allen voran gilt dies für jegliche Fragen rund um die Todesstrafe. Auch jene für „den Wolf“.

Am Ende dieser Woche steht fest: Wäre die Demokratie ein Mensch, würde sie sich hinsetzen und weinen.