Politiker stolpern selten über große Fragen

Doch unterschätzt den Neid nicht. Denn Heldenverehrung endet beim Privaten.

 

Konflikte zwischen Politikern und Bürgern beruhen häufig auf einem Missverständnis, das sich in zwei kleinen Worten festmachen lässt: „für“ und „von“. Die meisten Politiker würden gerne von sich behaupten, dass sie für die Politik leben. Die BürgerInnen sehen das zuweilen anders und unterstellen, PolitikerInnen lebten eher von der Politik. Der Soziologe Max Weber, derzeit aufgrund seines 100. Todestages wieder häufig zitiert, unterschied Politiker aufgrund dieser beiden Wörtchen. Die Unterscheidung ist allerdings komplizierter, als sie zunächst scheint, da sie ökonomische mit moralischen Fragen vereint.

Das Bild des korrupten Politikers, der oder die es sich richtet, gibt es in allen Nationen und auf jeder Ebene der Politik. Manches wird regional eher verziehen, weil man den oder die PolitikerIn persönlich kennt und vielleicht sogar mag, anderem entkommt man auf nationaler Ebene leichter, weil die Bevölkerung sich für größere Zusammenhänge interessiert als für die privaten Lebensumstände oder den Hausbau eines Regierungsmitglieds.

Die Heldenverehrung endet beim Privaten

Viel wird in der Politik verziehen, sonst wären manche Wahlergebnisse nicht verständlich. Allein der Umstand, dass H.C. Strache nach dem Ibiza-Skandal und den darauf folgenden Querelen die Möglichkeit erhält, bei den Wiener Wahlen als Spitzenkandidat einer (für ihn gegründeten) Partei anzutreten und ihm ernsthaft zugetraut wird, in den Landtag einzuziehen, entbehrt jeglicher Vernunft, selbst wenn man die Fähigkeit des Zurechtrückens von Geschichten oder irrationale Heldenverehrung miteinrechnet.

Korruption gilt nach wie vor als Kavaliersdelikt. Selbst die Beugung gewisser Regeln wird PolitikerInnen verziehen. Nur wenn es sich um Dinge dreht, die für BürgerInnen theoretisch greifbar und doch unerreichbar sind, werden sie sensibel sowie hellhörig. Frauen werden hier wie in allen anderen Feldern, in denen es um Macht geht, besonders kritisch beobachtet. So haben Philippa Strache die vielleicht mit Parteigeldern finanzierten Handtaschen mehr WählerInnenprotest eingebracht, als per Video festgehaltene Allmachtsfantasien ihres Mannes.

Es gibt keine Unbesiegbarkeit in der Politik

Selten stolpern PolitikerInnen in Österreich über große Skandale. Gefährlich wird es, wenn man ihnen unterstellt, dass sie sich genommen haben, was ihnen nicht zusteht (oder allen anderen auch zustünde), und sie sich dann auch noch in Arroganz kleiden. Die Anrufe bestimmter PolitikerInnen, in denen ein Bürger daran erinnert wird, dass er eines Tages die Hilfe eben jener Politikerin noch brauchen könne und sich dementsprechend verhalten solle, sind legendär. Vieles davon hört sich derart unverschämt an, dass es sich nur um ein Märchen handeln kann. Dennoch spiegeln solche Erzählungen jenen Hochmut, den man nur besitzt, wenn man meint, unbesiegbar zu sein. Bloß, dass man das in der Politik nie ist – das wäre sonst das Ende der Demokratie.

Der Umstand, dass Skandale meist nur kurz in den Medien bleiben und rasch von anderen Geschichten abgelöst werden, gibt den PolitikerInnen eine gewisse Handlungsfreiheit. Früher organisierte man eine Legislaturperiode so, dass man in den ersten Jahren einer Regierungszeit die unbequemen Maßnahmen umsetzte und ein Jahr vor der Wahl mit Steuerzuckerln lockte. Heute scheitert das oft an vorgezogenen Wahlen. Regional sitzen PolitikerInnen diesbezüglich etwas fester im Sattel. Doch auch sie sollten nicht unterschätzen, dass das Archiv die Rache der Journalisten ist, wie Robert Hochner einst so spitz formulierte. Das gilt natürlich nur, wenn es regionale Medien gibt, die ihre Unabhängigkeit bewahren.

Politische BeraterInnen verstehen selten etwas von Ethik

Gehen wir davon aus, dass PolitikerInnen klug genug sind, gute BeraterInnen heranzuziehen oder juristische Spielchen selbst zu durchschauen. Dann stellt sich noch immer die Frage nach dem Wertesystem. Politische BeraterInnen haben zuweilen weder eine Ahnung von demokratischen oder ethischen Prinzipien. Wie etwa sieht es aus, wenn man als PolitikerIn Hintergrundwissen ausnützt – nicht zum Wohle des Gebietes, in dem man tätig ist, sondern einzig für den eigenen Vorteil? Was, wenn man dann auch noch das Geschäft abwickelt, indem man jemanden engagiert, die oder der vorher einen großen Auftrag in eben jenem Gebiet erhalten hat?

Man ist dann juristisch noch immer auf der sicheren Seite, es ist wahrscheinlich weder Korruption noch Nepotismus, und Drohanrufe sind selten beweisbar, Politik hat allerdings viel mit demokratischer Hygiene zu tun. Die berühmte weiße Weste lässt sich nicht durch ein hübsches weißes Kostüm oder ein ebensolches Hemd erlangen. Gute Politik basiert vielmehr auf einem Wertesystem, das es ethisch nicht zulässt, Vorteile des eigenen Wissens aufgrund beruflicher Verbindungen für sich selbst oder einen nahe stehenden Menschen zu nützen. Die Grenze dafür ist sehr fein. Man sollte daher den Neid der anderen nicht unterschätzen. Neid führt niemals zu etwas Gutem – allerdings auch nicht zu guten Wahlergebnissen.

Zunächst erschienen in: Dolomitenstadt